Weißer Riese

Volkswagen Touareg im Test

Text: Joshua Hildebrand | Bilder: MAV Verlagsgesellschaft mbH / Jan Bürgermeister

 

Wir stürzen uns mal wieder ins Abenteuer! Dieses Mal mit einem neuen Touareg V6 TDI, dem aktuell stärksten VW-SUV. Wir fragen uns: Hat er das Potenzial zum Riesenfreund? Dreckig wird’s auf jeden Fall!

 

Genau zwei Wochen gingen wir durch dick und dünn. Fuhren wir nach Österreich. Fuhren wir in die Berge. Über Stock und Stein. Doch leider kam irgendwann die Zeit der Trennung. Und zum Schluss standen wir wieder ganz alleine auf dem Verlagsparkplatz – das tragische Ende einer großen Freundschaft? Nein! Alltag eines Autojournalisten – geprägt von automobilen Freundschaften auf Zeit, könnte man sagen. Mal währt eine kürzer, mal länger. Wäre es nach 14-tägiger Testzeit ernst geworden mit dem Touareg und mir, wäre es vermutlich richtig teuer geworden. Genauer gesagt knappe 108.000 Euro … Dafür muss ein „alter“ Redakteur viele, viele Texte schreiben. Ihr versteht, was ich meine?

 

Innovation trifft Baukasten

 

Es ist erstaunlich, wie schnell man doch eine Bindung aufbauen kann. Auch zu einem Auto! Dass es geht, belegen Hirnforscher. Und unsere Erfahrung. Denn kaum stand dieser Touareg bei uns auf dem Hof, waren wir ein Team, bestehend aus Mensch und Maschine. Ich hätte nicht gedacht, dass ich das mal im Vorfeld eines Tests sagen werde. Aber: Der Touareg ist wirklich klasse. Sicherlich stimmt nicht alles an ihm, aber das macht ihn irgendwie auch so interessant. Und das sage ich, obwohl ich ein bekennender Sportwagenfan mit Benzin im Blut bin. Eben: nicht mit Diesel! Jetzt muss man fairerweise sagen, dass unser „Freund auf Zeit“ das Stärkste war, was wir kriegen konnten: 286 PS auf ziemlich genau 2.070 Kilogramm – ein ähnliches Leistungsgewicht wie beim Golf 1 GTI. Klingt komisch? Ist aber so. Mit aller Skepsis, die mich vor diesem Test geplagt hat, kann ich sagen: „Gar nicht so schlecht, wie dieser Klotz durch die Weltgeschichte marschiert!“ In rund 6,5 Sekunden waren wir stets auf 100 km/h, wenn auch die Werksangabe von 6,1 Sekunden etwas illusorisch erscheint. Das Bemerkenswerte: Dank des mit 5.900 Euro aufpreispflichtigen adaptiven Luftfahrwerks mit Wankstabilisierung und Allradlenkung durchfuhren wir jede noch so enge Kurve in den österreichischen Bergen jedenfalls nicht so, als hätten wir über zwei Tonnen Gewicht mit dabei gehabt. Aber mal ehrlich: Der Käufer-Klientel eines solchen Autos ist es doch relativ schnuppe, wie schwer das SUV letztlich ist und vermutlich auch, was unterm Strich beim Fahrzeugpreis herauskommt. Der Reiz eines Statussymbols liegt ja gerade darin, dass ihn sich richtig pompös nicht jeder leisten kann. Aber mal ehrlich: über 100.000 Euro für einen VW? Das ist schon richtig heftig! Dieser „Wucher“, könnte man schon fast sagen, resultiert vor allem aus der ellenlangen Liste der Sonderausstattungen. Nur mal eine kleine Auswahl: das Lederpaket „Savona“ für 5.000 Steine, das mit 3.300 Euro zubuchbare R-Line-Paket oder das sogenannte Innovision Cockpit für nur 3.500 Euro. Inno… was? Ja, zum ersten Mal in einem Volkswagen befindet sich das digitale Kombiinstrument, das sogenannte Digital Cockpit, zusammen mit dem Bildschirm des Infotainmentsystems hinter einer gebogenen Glasscheibe. Das zusammen ergibt eben das hochpreisige „Innovision Cockpit“. Und jetzt aufgepasst: In diesem voll ausgestatteten Testwagen stecken Sonderausstattungen im Wert von über 47.000 Euro! Heftig, oder? Und bei Geld hört die Freundschaft bekanntlich ja auf. Dabei hätten wir dann doch gerne mal gewusst, warum der Übergang vom Entertainment-Display zum digitalen Cockpit mit einem einfachen „Schlitz“ so lieblos gestaltet wurde? Noch dazu: Warum gibt es für so ein Premiummodell kein neues Lenkraddesign? Gefühlt fahren alle Modelle der Volkswagen-Palette mit ein und demselben herum. Egal, ob der Wagen 10.000 oder 100.000 Euro gekostet hat. Hier hätte man es mal anders machen können …

 

Ja, optisch ist er der Schönste 

 

Um aber noch etwas mehr subjektive Würze in diesen Bericht zu bringen, erlauben wir uns jetzt einfach mal ein Statement: Der neue Touareg ist das schönste deutsche SUV! Der Audi Q7 ist zu glatt, der Porsche Cayenne ist zu teuer und der BMW X5 ist zu klobig. Und das obwohl VW, Audi, Porsche, Bentley und sogar Lamborghini mit ihren SUV-Modellen dieselbe Plattform namens „MLB Evo“ nutzen. Unterm Blechkleid sind alle gleich, in ihrem Wesen und in ihrem Auftritt aber doch ganz anders. Designchef Klaus Bischoff hat mit dem neuen Touareg für unseren Geschmack genau den Spagat zwischen sportlich, luxuriös und bieder getroffen – das gefällt! Große Luxus-SUV sind die Statussymbole unserer Zeit – für die Designer ist es eine Spielwiese: je fetter der Kühlergrill und je auffälliger das Markenemblem, desto besser. Der Touareg spielt in genau dieser Liga mit, überfordert unser Auge bei Betrachtung der Frontpartie aber fast schon mit zu viel Chrom und Bling-Bling-Gehabe. Das könnte für den ein oder anderen schon ein wenig „too much“ sein … Egal. Von der Kommandozentrale aus sieht man’s ja nicht, und das erhabene Gefühl, das sich beim Platznehmen sofort breitmacht, lässt alles Schlechte dieser Welt vergessen. Es ist eben so, als würde man nach Hause kommen. Trotz vieler neuer Ansätze ist man mit der Bedienung des Flaggschiffs sofort vertraut. Alles hört zwar jetzt ein bisschen mehr auf die Bedienung per Fingertipp, und die Größe des multimedialen Cockpits erreicht schier Kinoformat. Dennoch bleibt es in Summe ein VW. Und damit für unseren Geschmack leider auch bei ein bisschen zu viel Hartplastik. 

 

Weiße Weste mit Flecken 

 

Nach dem Wegfall des Phaeton aus dem europäischen Verkaufsprogramm soll die nunmehr dritte Generation des Touareg die Funktion des Topmodells bei VW übernehmen. Seinen Premiumanspruch betonen die Wolfsburger beispielsweise mit der verbauten Technik und den Motoren. Der V6 TDI reicht für Reisende und Abenteuerlustige wie uns völlig aus und steht mit voller Blüte im Saft seiner 600 Newtonmeter. Das Aggregat kommt selbst im Anhängerbetrieb am Berg gut mit Lasten um die 2,5 Tonnen zurecht – das ist keine große Überraschung. Überraschend jedoch ist für uns die sagenhaft schlecht applizierte 8-Stufen-Wandlerautomatik, die selbst im „S“-Modus ruckelt und für jeden Gangwechsel eine halbe Ewigkeit braucht. Vielleicht sollte hier mal BMW nachhelfen. Darüber hinaus war der Testverbrauch von knapp zehn Litern Diesel (ohne Vollbeladung und ohne Anhänger) doch etwas zu hoch. Leistung hin oder her, ein niedrigerer Verbrauch wäre wünschenswert. Immerhin ist der Turbodiesel dank SCR-Kat und Euro-6d-TEMP-Generation weitgehend sauber. City-Fahrverbote? Sind in diesem Fall kein Thema … Hoffen wir !

 

Mama hat immer gesagt: „Am Anfang sind sie alle toll.“ Und irgendwie ist mir ihr Spruch beim Verfassen dieser Zeilen wieder eingefallen. Denn der Touareg ist auch ein kleiner Blender … Erst spielt er dich mit seinen Reizen aus, wickelt dich dann mit seinem charmanten Interieur ein, und zum Schluss ärgerst du dich bei genauerem Hinsehen über viele kleine Macken. Und viele kleine Macken können in Summe auch richtig nerven! Ja, so ist das. Wir haben uns zwar in den Touareg verknallt, ein Bund fürs Leben ist daraus allerdings nicht geworden. Die Beziehung zum neuen V6-Touareg war für uns tatsächlich eine Freundschaft auf Probe. Oder ein befristetes Verhältnis. Denn für das, was er darstellt, ist er einfach zu teuer. Zweifelsohne ist er kein schlechtes Auto. Sogar ein wirklich gutes. Aber richtig entscheiden können wir uns erst, wenn wir auch den V8 mit 421 PS gefahren sind …